So, jetzt habe ich endlich mal wieder Zeit für meinen Blog, lange genug hat es ja gedauert. Aber nachdem „unser Buch“, der Craft Beer Führer Franken auf dem besten Weg ist, meine Serie im Obermain Tagblatt über die Brauereien im Landkreis Lichtenfels läuft und auch meine Beiträge für den neuen Band Lebensart Genießen: Spezialitäten in Franken  auch fertig sind, kann ich endlich wieder ein Bier des Tages schreiben. ;-)

Craft Beer Führer Franken

Für die erste Kolumne seit langem hatte icn mir eigentlich das Portrait zweier Brauer ausgedacht, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Ein „gelernter Handwerker“ im besten Sinne des Wortes und strenger Verfechter des Reinheitsgebotes auf der einen Seite, auf der anderen Seite ein Hobbybrauer, der seine erste Kreation für den breiten Markt, die munter am Reinheitsgebot vorbeigebraut wurde, kürzlich vorgestellt hatte. Versprach spannend zu werden. Aber dann kam es, wie es so oft kommt: Ich hatte das erste Bier dieses Vergleichs, das Groll’sche Doldenpils 2015 von der Brauerei Wiethaler in Neunhof bei Lauf an der Pegnitz aufgemacht – und schon war der ganze Plan über den Haufen geworfen.

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Dass der junge Andreas Dorn nicht nur seine Standardsorten ordentlich brauen kann, sondern auch craftbeermäßig was auf dem Kasten hat, hat schon sein Überraschungserfolg Hoptimum, einem echt geilen Pale Ale, gezeigt. Danach gab es als weitere Sonderbier das Wiethaler Blanche, bei dem er versucht hat, ein belgisches Witbier (mit Koriandersamen und Orangenschale) und das strenge bayerische Reinheitsgebot miteinander zu versöhnen.

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Quelle: https://www.facebook.com/Brauerei-Wiethaler-204126786317109/

Und jetzt hat er sich die Biersorte Pils vorgenommen. Und da stapelt er nicht gerade tief: „Groll wäre neidisch geworden!“ lässt er die Biergemeinde via Facebook wissen. Die Hardfacts des Biers:
– Mit 5,7 % Alkohol liegt es deutlich über dem, was man heute so bei einem Pils findet. 4,9 % haben die deutschen Pilsner im Vergleich – die stehen deshalb auch auf dem Retro-Etikett von früher.
– Auch bei der Stammwürze liegt es mit über 13 % über dem Pils-Durchschnitt. Beim European Beer Star setzt man die Obergrenze bei einem Pils bei 12,9 %.
– Die Farbe ist mit 13 EBC ein wenig dunkler als ein klassisches Pils, das hat in der Regel weniger als 10 EBC.
– Das Groll’sche Doldenpils ist unfiltriert, dabei ist der klare, glanzfeine Körper doch DAS Qualitätsmerkmal eines Pilsners.- Und was die Bittereinheiten angeht: 46 Bittereinheiten sind wesentlich mehr als der deutsche Durchschnitt. Der liegt im Durchschnitt bei 28 Ebc. 46 Bittereinheiten wären auch für ein typisches böhmisches Pils an der Obergrenze.

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Aber das ist genug der technischen Details, das interessante ist der Hopfen. Das Groll’sche Doldenpils wurde mit frischen Hopfendolden der Sorte Hersbrucker Spät gebraut und auch gestopft. Und das ergibt Hopfenaroma pur. Man macht es auf und denkt sich schon: WOW! Ein weiches, blumiges, aber doch massives Hopfenaroma.
Man sollte vor dem ersten beherzten Schluck mal ein wenig am massiven Schaum nippen. Das ist Hopfen pur! Fast schon ein wenig zu viel, wenn man nur beim Schaum bliebe. Zusammen mitd em Bierkörper ist Trunk weich, körpervoll, massiv gehopft: blumig, würzig mit Citrusnoten. Die Bittere ist knackig, aber für das deutliche Hopfenaroma ist sie fast schon „verhalten“. Denn mal ehrlich: DAS erinnert einen in keinster Weise an ein Pils. Man denkt da eher an eine deutsche – also untergärige – Version eines Best Bitter oder eines Pale Ales. Für ein Pils mögen die 46 Bittereinheiten zu viel sein, für ein „Imperial Pils“ wären sie „normal“, vielleicht sogar „dezent“.

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Und das ist die Moral der heutigen Geschichte: Wenn Andreas Dorn mit seinem Groll’schen Doldenpils dem, was Josef Groll 1842 in Pilsen erfunden hatte, nahekommt, dann muss man sich fragen, was die deutsche Brauwirtschaft aus dem Bierstil Pils gemacht hat! Ich meine, wohin hat uns unsere Bierentwicklung gebracht, wenn man bei einem „urigen“ Pils eher an ein englisches Bier als an ein deutsches denkt? Klar, Dekoktion (also Teilmaischen zu ziehen und sie einzeln zu kochen), Tennenmalz und Doldenhopfen sind  nichts, was moderne Großbrauereien reproduzieren können. Zu teuer, zu unpraktisch, zu wenig effizient. Aber das „Spülwasser“, das man uns heute bisweilen als Pils vorsetzt, hat den Namen nicht verdient. Und da hilft es auch nichts, wenn man „Premium“ davor schreibt. Und dafür ist man auch bereit, mehr dafür zu bezahlen. Denn einen Mehrwert in Sachen Aroma bietet das Groll’sche Doldenpils auf alle Fälle!

Eine kleine Anekdote am Rande: Verkostet man das  mit „normalen“ Biertrinkern, kann es passieren, dass sie es als „zu stark“ im Geschmack ablehnen. Ist mir so passiert.
So weit haben wir es gebracht: Bier schmeckt nicht mehr, wenn es nach etwas schmeckt!
Eine Revolution ist bitter nötig, egal ob mit oder gegen das Reinheitsgebot!