Ich muss noch mal kurz auf die umstrittene Kolumne in der Süddeutschen zu sprechen kommen. Denn als jemand, der anderen Leuten Bier&Bierkultur erklärt, lassen mich solche fundamentalen Missverständnisse in Sachen Bier nicht kalt. Nicht nur, weil die Kolumne den Eindruck erweckt, Craftbiere wären per se gegen das Reinheitsgebot gebraut: Das sind die meisten tatsächlich nicht! Unlängst konnte man auf Twitter lesen, dass 95 % aller Craftbiere nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut würden.

Quelle: Twitter

Quelle: Twitter

Und dann fiel mir noch etwas an besagter Kolumne auf. Sie erweckt den Anschein, als sei in der bayerischen Heimat von Frau Wild alles noch in Ordnung. Ein Bilderbuch-Bayern sozusagen: grüne Wiesen, glückliche Kühe und jeder Biertrinker weiß, was er im Glas hat und warum. Und da muss ich mal einhaken, denn das ist bei weitem nicht mehr so. Der typische Konsument hat sich in den meisten Bereichen der Lebensmittelproduktion so weit vom Endprodukt entfernt – besser eigentlich umgekehrt: Die Lebensmittelproduktion hat sich so weit vom Konsumenten entfernt –, dass die meisten mit traditionellen Aromen und Geschmäckern nichts mehr anfangen könnten. Lassen Sie doch mal einen Städter oder eine Städterin frische, kuhwarme Milch probieren. Das würde keinem schmecken. Aber SO schmeckt Milch eigentlich nun mal. Unser „Milchgeschmack“ ist das Ergebnis vieler Arbeitsschritte, von denen der Konsument heute keine Ahnung mehr hat. Ähnlich verhält es sich mit vielen Traditionen rund ums Bier. In Zeiten, in denen rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr gebraut werden kann, verlieren saisonale Bierspezialitäten ihre traditionelle Grundlage und werden nicht selten missverstanden und missinterpretiert. Und das nicht nur in den fernen und biertechnisch für die SZ-Kolumnistin sonderbaren USA. Wer zum Beispiel von den Otto Normalbiertrinkern und -biertrinkerinnen wüsste zum Beispiel heute noch, wann man ein Märzen trinkt? In den meisten Getränkemärkten und Brauereien werden die heute nämlich im März angeboten. Das setzt sich beim Verbraucher fest. So fest, dass sogar ich, der es eigentlich besser wissen sollte, im ersten Jahr dieses Projekts im März munter Märzen um Märzen gepostet hatte. SHAME ON ME!

Martinsbräu Märzen

Dabei gehört das Märzen in den Herbst. Gebraut wurde es im März, getrunken aber in der Zeit, in dernicht mehr bzw. noch nicht gebraut werden konnte: Sei es nun aus „feuerpolizeilichen Gründen“ oder, weil es das sog. Reinheitsgebot verbot. Wenn ich heute also ein Märzen vorstelle, dann sozusagen in aufklärerischer Mision. Aber jetzt habe ich genug „geschwafelt“. Reden wir über das Märzen der Martinsbäu aus Marktheidenfeld. Das hat eine fast schon typische Bernsteinfarbe. Zudem ist es blank filtriert. Das ist ja auch so ein Missverständnis: Eine Trübung im Bier wird häufig mit besserer Qualität gleichgesetzt, schließlich gibt es Bierfehler, die Trübungen bewirken. Andererseits ist „der Zwang zur Filtration“ eigentlich unnötig und ein Relikt aus der beginnenden Industrialisierung des Brauprozesses. Eine immer bessere Klärung des Biers zeigte damals, dass die Brauerei fortschrittlich und modern produziert. Mit dem Ergebnis, dass heute mit allerlei Hilfsmitteln, die überhaupt nicht im Reinheitsgebot stehen, bei der Filtration nachgeholfen wird. Aber das ist ein anderes Thema und führt jetzt zu weit.

Martinsbräu Marktheidenfeld Märzen

Was mir am Märzen vom Martinsbräu gefallen hat, ist das Karamell- und Malzaroma. Es erinnert mich auch ein wenig an das Laurenzi-Festbier. Aber die beiden Biere unterscheiden sich laut Etiketten im Alkoholgehalt. Jedenfalls ist es ein typisch malziges Märzen: brotige Aromen die Süße ist nicht zu stark. Die Malzaromen bestimmen den Charakter dieses Bieres deutlicher als der Hopfen. Und weil wir grade beim Hopfen sind. Laut Etikett wird kein Hopfenextrakt eingesetzt. Das ist ja auch so ein Punkt, an dem der Konsument und die modernen Produktionsbedingungen sich weit, weit entfernt haben. Schaut euch mal die „Premium-TV-Biere“ an. Zum Teil findet sich in den Inhaltsstoffen nicht mal mehr „Hopfen“, sondern nur noch der preisgünstigere Extrakt. Der ist flüssig, haltbarer und der Brauer müsste ihn nicht mal mehr selbst zugeben. Es gibt Brauanlagen, da funktioniert auch das automatisch! Nein, da lobe ich mir das Martinsbräu Märzen. Da wird nur Hopfen zugegeben, zwar wahrscheinlich auch als Pellets, aber immerhin Hopfen.

In Sachen Bier gibt es eben viele Missverständnisse. Nicht alles, was Craftbier ist und ungewöhnlich schmeckt, ist eine Revolution. In vielen Punkten (Filtration/Rohstoffe) sind Craftbrauer sogar echte Traditionalisten, während der heimische Markt zum großen Teil von High-Tech-Produkten bestimmt wird, bei denen der „einzige handwerkliche Arbeitsschritt“ das Verladen auf den LKW ist. Wir Franken haben da noch richtig Glück mit solchen traditionellen Bieren wie dem Martinsbräu Märzen. Moderne Craftbiere bedrohen diese Traditionen aber nicht unbedingt. Das machen eher die großen Braukonzerne und ihr Preisdruck. Aber darüber schreibt leider keiner eine Kolumne …