500 Jahre Reinheitsgebot! Alle Welt feiert, aber mir ist nicht nach Party zumute …
Wir haben das jahr 2016 und das ganze Land ist in Feierstimmung. das ganze Land? Ich weiß ja nicht, denn je mehr um mich herum das Reinheitsgebot „abgefeiert wird“, desto weniger mag ich mich über „das älteste Lebensmittelrecht der Welt“ freuen. Der Bayerische Brauerbund, eine meiner Lieblingsorganisationen, freut sich auf seiner Homepage: „Ein halbes Jahrtausend reinstes Bier“.
„Reinstes Bier“ – das würde ich gerne glauben. Aber je mehr ich mich mit Bier beschäftige, hinter die Marketingromantik auf den Etiketten blicke, desto weniger bin ich mit dem Reinheitsgebot im Reinen. Oder anders ausgedrückt: Mir kommt das Reinheitsgebot langsam so vertrauenswürdig vor wie die Marketingaussagen von Volkswagen. Da hatte man uns ja auch versprochen, die Dieselmodelle wären nicht nur sauber, sondern rein. Was diese „Reinheit“ im Endeffekt wert war, ist längst bekannt.
Aber warum bin ich jetzt so eine „Spaßbremse“? Warum kann ich nicht vorbehaltlos in die Partystimmung einschwenken? Es feiert ja nahezu jeder um mich herum. Liegt es nur an mir? Ich fühle mich ja langsam wie Dr. Sheldon Cooper bei The Big Bang Theory. Alles ist in Stimmung und ich nörgle wegen Daten, Durchführungsverordnungen und vielem mehr. Heute zum Beispiel wird das BR Magazin Quer einen Beitrag zum Thema Reinheitsgebot senden. Und auch dort werde ich wieder „klugscheißen“ und von einer „Marketinglüge“ sprechen. Und vielen wird das, was ich dort sagen werde, nicht gefallen. Wahrscheinlich wäre es einfacher, den Mund zu halten …
Und einmal gleich vorweg! Ich will „das Reinheitsgebot“ nicht abschaffen. Ich will, dass man den Gedanken der Reinheit ernst nimmt! Ich freue mich über jedes Bier, das ich finde, in das wirklich nur Wasser, Malz, Hopfen und Hefe kommt. Kommen noch andere Stoffe zum Einsatz, will ich, dass man sauber deklariert, was verwendet wird und was drin ist! Und ich will, dass ein Bier, das Bier ist, auch Bier sein darf.
Aber welche Problem habe ich dann mit dem Reinheitsgebot? Lasst es mich euch erklären:
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Seit 500 Jahren haben wir dank Reinheitsgebot reinstes Bier!
Das ist geschenkt. Das „Reinheitsgebot“ von 1516 hatte viele, auch anders lautende Nachfolger. 1551 zum Beispiel oder auch 1616. In dem steht klipp und klar, dass derjenige, der neben Wasser, Gerste und Hopfen auch Salz, Wacholder oder Kümmel nicht im Übermaß benutze, nicht bestraft werden solle! Was für mich zwei Dinge bedeutet:
1. Auch nach 1516 wurden Gewürzbiere gebraut, die – anders als heute!!! – nicht geahndet wurden.
2. Es gibt eine Grundvoraussetzung für das, was Bier genannt werden darf. Und die lautet: Wasser, Gerste(nmalz), Hopfen. Das musste ein Bier sozusagen mindestens haben. Hatte es das nicht, war es kein Bier. Dazu konnten aber auch Gewürze z. B. kommen. Heute können Kümmel, Rosmarin und andere Gewürze dazu führen, dass ein Bier „unrein“ wird und der Brauer bestraft wird. In den letzten 500 Jahren scheinbar nicht. Denn durch die Zeit lassen sich Gewürzbiere vom 16. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert nachweisen. Wir könnten also genauso gut 500 Jahre unreine Biere feiern. Oder lasst es mich anders ausdrücken: Seitdem wir uns mehr aufs Reinheitsgebot konzentrieren steigt der Anteil der Chemie im Bier. Aber davon später mehr.
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Dank Reinheitsgebot sind im Bier nur vier Zutaten: Wasser, Malz, Hopfen und Hefe.
Leider nein. Zucker ist zum Beispiel bei obergärigen Bieren nicht ausgeschlossen. Dabei soll uns das Reinheitsgebot doch extra vor den „Zuckerbieren, Maisbieren usw.“ aus dem Ausland schützen. Tut es aber nicht. Warum? Gute Frage. Das Vorläufige Biergesetz sagt in §9 Abs. 2:
„Die Bereitung von obergärigem Bier unterliegt derselben Vorschrift; es ist hierbei jedoch auch die Verwendung von anderem Malz und die Verwendung von technisch reinem Rohr-, Rüben- oder Invertzucker sowie von Stärkezucker und aus Zucker der bezeichneten Art hergestellten Farbmitteln zulässig.“
Diese Zucker dürfen auch als wässrige Lösung verwendet werden, das erklärt einem § 18 der Durchführungsverordnung zum Vorläufigen Biergesetz. Tja, wer wird davon wohl eher profitieren? Der kleine Brauer nebenan oder die Großbrauerei … ??? Von einem „Reinheitsgebot“ erwarte ich, dass es keinen Zucker zulässt. Oder anders ausgedrückt:
Nach dem Reinheitsgebot darf ich zwar mit Industriezucker brauen, aber nicht mit natürlichem Honig!
Und dann ist da der Punkt mit der Kohlensäure. Die wird beim Vergären durch die Hefe natürlich gebildet. Bei alkoholfreien Bieren, die nur kurz angegoren werden, entsteht aber nicht genügend davon – vor allem bei alkoholfreien Weißbieren. Alkoholfreie Biere boomen aber, das Marktsegment darf man nicht verpassen. Jetzt wäre es schön, wenn man Kohlensäure dem Bier zugeben dürfte. Dumm nur, dass das in § 9 Vorläufiges Biergesetz verankerte Reinheitsgebot genau das eigentlich ausschließt. Das sagt ja klipp und klar: Alles, was hier nicht erlaubt wird, ist unzulässig.
Aber wie praktisch, man darf doch Kohlendioxid zugeben, jedoch nur mit einem kleinen Trick. Es gibt aber praktischerweise die Zusatzstoffverordnung [Verordnung über die Zulassung von Zusatzstoffen zu Lebensmitteln zu technologischen Zwecken (Zusatzstoff-Zulassungsverordnung – ZZulV)]. Und die besagt in § 5 folgendes:
„(3) Abweichend von Absatz 1 dürfen bei der Herstellung von Bier, das unter der Bezeichnung ’nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut‘ oder gleichsinnigen Angaben in den Verkehr gebracht wird, nur verwendet werden:
1. bei der Bierbereitung abgefangenes Kohlendioxid,
2. Kohlendioxid und Stickstoff, wenn sie bis auf technisch unvermeidbare Mengen nicht in das Bier übergehen; eine Erhöhung des Kohlensäuregehaltes des Bieres darf durch die Verwendung nicht eintreten.“
Fragt mich jetzt bitte nicht, wo die Unterschiede zwischen bei der Bierbereitung abgefangenem Kohlendioxid im Vergleich zu technischem Kohlendioxid sind. Eigentlich ist es dasselbe. Nur das erste war mal Teil eines Biers – und jetzt kommt die Reinheitsgebots-Logik: Ich mische sozusagen Bier (mein lasches Alkoholfreies) mit Bier (also dem Kohlendioxid als Teil eines Biers). Und damit ist die Zugabe von Kohlendioxid unproblematisch.
Für mich ist das nichts anderes als das bewusste Umgehen eines eigentlich klaren Verbots. Ein Grund zum Feiern jedenfalls nicht!
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Das Reinheitsgebot schließt dafür wenigstens Farbstoffe und Aromen unbedingt aus – oder?
Farbstoffe und künstliche Aromen sind im Bier dank Reinheitsgebot verboten. Daraus darf man aber nicht schließen, dass es verboten wäre, Bier zu färben. Klingt widersprüchlich, ist es aber nicht. Staatliche Lebensmitteüberwacher aus Karlsruhe haben herausgefunden, dass vom 80 überprüften dunklen Bieren 40 kein dunkles Malz enthielten. Sie wurden als Helle eingebraut und sind irgendwann in der Brauerei – zwischen Sudhaus und Abfüllanlage – ungefärbt (und aromatisiert) worden. Und das ganz legal nach dem Reinheitsgebot.
Der Grund heißt Farbebier bzw. Röstmalzbier. Dabei handelt es sich dem Gesetz nach um Bier, trinken würde man diese dunkle sirupartige Flüssigkeit trotzdem nicht. Farbebier/Röstmalzbier wird benutzt, um Biere zu färben und zum Teil auch das Aroma zu verändern – zu nichts anderes. Einen „Farbstoff“ darf man es trotzdem nicht nennen, obwohl mit diesem Stof gefärbt wird. Warum? Weil hier rein rechtlich Bier A (Helles) mit Bier B (der Farbstoff, der kein Farbstoff ist) gemischt werden. Und Bier bleibt Bier. Aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, es handele sich bei solchen Produkten doch um Farbstoffe und Aromen. Ein Beispiel gefällig? Die Anstreichungen sind von mir.
Ich möchte hier mal einen führenden Anbieter von Farbebier, die Firma Aspera, zitieren:
„Aspera Röstmalzbiere werden nach dem Deutschen Reinheitsgebot von 1516 gebraut.[…] Dem deutschen Kennzeichnungsrecht entsprechend dürfen Aspera Röstmalzbiere allen unter- und obergärigen Bieren ohne Deklaration zugesetzt werden. Um der Vielzahl von Bieren und Einsatzbereichen gerecht zu werden, stehen heute sieben unterschiedliche Qualitäten Aspera Röstmalzbiere zur Verfügung, die zur Geschmacks- und Farbgebung eingesetzt werden„
Und weiter heißt es dort:
„Viele Brauereien schätzen den Einsatz von Röstmalzbieren, um die großen Produktionskapazitäten im Bereich des Sudhauses sowie des Gär- und Lagerkellers kostengünstig zu nutzen ohne auf die häufig lukrativen und ertragsstarken Biersorten des Randsortimentes zu verzichten. Dabei werden die nach Standardrezepturen gebrauten Sude unverändert bis zum Filterkeller gefahren. Erst an dieser Stelle des Brauprozesses wird über die herzustellende Sorte entschieden.“
Praktisch, oder? Und lukrativ. Darf ich mal vorrechnen: Im Netz bekomme ich einen 5 Liter-Kanister Röstmalzbier/Farbebier für um die 25 €. Ich habe das mal die Preise verglichen, würde ich 100 Liter Pils mit 5,6 EBC auf sehr dunkle 100 EBC umfärben wollen – einmal mit Röstmalz und einmal mit Farbebier.
Mit Röstmalz müsste ich für diesen Sud 1,33 Kg Röstmalz aufwenden. Und die würden mich als Hobbybrauer 3,46 € kosten, wenn ich das Malz bei einem Internetversender für Hobbybrauer kaufe.
Braue ich stattdessen mit Farbebier, reichen davon nicht mal 200 Gramm. Wie gesagt: 5 Liter Farbebier (mit Kanister wiegen die 6 Kg) kosten mich 25 €. Rechne ich mal großzügig 250 Gramm Farbebier, um auf 100 EBC zu kommen, dann kostet mich das Farbebier 1, 25 €. Also über 2 Euro weniger!!! Da sieht man, dass es sich rentiert, lieber zu färben als mit reinem, dunklem Malz zu brauen.
Ich habe übrigens nichts dagegen. wenn jemand lieber Farbebier als dunkles Malz einsetzt. Das kann viele Gründe haben. Jeder Brauer soll da frei entscheiden dürfen. Aber ich möchte, dass Röstmalzbier dann auch angegeben werden muss! Das ist nämlich nicht immer der Fall. Als Konsument will ich wissen, was ich trinke. Schließlich verspricht mir das Reinheitsgebot genau das! Mit den gängigen Regelungen ist das aber nicht immer der Fall!
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Das Reinheitsgebot schützt uns vor Chemie im Bier!
Tja, was soll ich sagen. Auch das stimmt so sehr wie es falsch ist.Natürlich sind all die „großen Sauereien“, die man ins Bier kippen kann, damit es länger hält, besser aussieht, den Schaum stabiler hält usw. dank Reinheitsgebot verboten.
Andere Chemikalien, also andere, vielleicht „Kleinere Sauereien“ sind aber durchaus erlaubt. Nehmen wir mal die Wasseraufbereitung. Wasser ist nicht gleich Wasser und jede Sorte braucht ihre ganz besondere Wasserhärte, ihre speziellen Mineralstoffe usw. Außerdem verbessert die richtige Wasserzusammensetzung die Sudhausausbeute nicht unerheblich. Das weiß jeder Brauer. Fragt euch doch mal, warum es in der Fränkischen Schweiz, in der das Wasser ja eher hart ist, mehr dunkle als helle Biere gibt. Genau, die Wasserhärte färbt das Bier automatisch ein paar Farbtöne dunkler und würde ein helles, hopfenbetontes Bier eher kratzig wirken lassen. Die Brauer früher wussten das und haben Biere ganz natürlich (ich möchte fast „rein“ sagen) nach den Gegebenheiten vor Ort gebraut. Aber heute muss man ein breites Sortiment anbieten.. Und ohne Pils geht gar nichts. Das Wasser muss also aufbereitet werden.
Der einfachste Weg wäre Sauermalz, also Malz, auf dem besonders viel natürliche Milchsäurebakterien leben. Je größer der Ausstoß, desto eher wird man das Brauwasser entsprechend aufbereiten. Und da geht es eigentlich nicht ohne „Chemie“. Das Paradebeispiel liefert das Fachmagazin Brauwelt. Da wird die Wasseraufbereitung bei einer bayerischen Brauerei vorgestellt, die sich besonderer Reinheit verpflichtet hat. Das Wasser wird mit einer Umkehrosmoseanlage entmineralisiert. Und dafür braucht man „Hilfsmittel“. Ich zitiere einfach mal aus der Brauwelt:
„Um Härteausfällungen auf den Membranen zu vermeiden, wird die Härte des Rohwassers durch Zugabe eines geeigneten Antiscaling-Mittels stabilisiert. Hierfür dient eine Dosiereinheit für Antiscalant, die in den Rahmen der Umkehrosmoseanlage (UO-Anlage) integriert ist. Sie besteht aus einer Dosierpumpe und einem Dosierbehälter.“
Was man sich unter so einem Antiscaling-Mittel vorstellen muss, sieht man am besten bei einem Hersteller. Ich würde das Zeug im blauen Plastikkanister jedenfalls durchaus für Chemie halten.
Damit ist man aber noch nicht fertig, denn hat man das Wasser von den unerwünschten Mineralien befreit, muss man es noch mit den erwünschten „mineralisieren“. Im besagten Artikel in der Brauwelt liest sich das so:
„Außerdem wurde die Konzentration der zur Fällung von Oxalaten (Gushing) wichtigen Kalziumionen durch die Umkehrosmose stark verringert. Deshalb soll das Brauwasser durch die Gabe von Kalziumchlorid aufgehärtet werden. Hierfür wurde zur genauen Zugabe von Kalziumchlorid eine Dosiereinheit in den Rahmen der Umkehrosmoseanlage integriert. Die Dosierpumpe delta mit geregeltem Magnetantrieb saugt das notwendige Kalziumchlorid mit einer Sauglanze aus einem 200-l-Chemikalienfass.“
Klar, auch ich weiß, dass Kalziumchlorid nicht gefährlich ist. Es ist natürlich im Trinkwasser enthalten. Aber es ist auch eine Chemikalie und HIER kommt es als CHEMIE ins Brauwasser. Und es ist nicht die einzige: Anti-Gushing-Mittel, Betonite, PVPP … Chemie ist bei einem gewissen Industriestandard leider zum natürlichen Hilfsmittel für „reines“ Bier geworden. Ob die laut Reinheitsgebot erlaubt sind oder nicht, stört die Brauindustrie übrigens wenig. Ich hätte mal ein schönes Zitat dazu, diesmal aus der Zeitschrift Brauindustrie:
„Die meisten bis heute gebräuchlichen Klärmittel wirken adsorbierend und nicht mechanisch. Dies war selbst zu den Zeiten so, als nur die mechanisch wirkenden Klärmittel zugelassen waren (Deutscher Bundestag 1967). Aus diesem Grunde
wurde 1968 das Vorläufige Biergesetz den tatsächlichen Verhältnissen angepasst und die bereits gebräuchlichen adsorbierenden wie auch alle weiteren adsorbierenden Klärmittel wurden legalisiert.“
Das heißt im Klartext: Wir machen, was wir wollen – und im Zweifelsfall passen wir das Reinheitsgebot an!
Sorry, bei mir schafft das kein Vertrauen ins Reinheitsgebot.
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Die verwendeten Hilfsmittel sind ja nicht löslich und werden zu 100 % wieder aus dem Bier filtriert. Also sind sie nicht so schlimm.
Da möchte ich mal kurz die Geschichte der Bierklärungs-Hilfsstoffe skizzieren. Bis ins 19. Jahrhundert nahm man dazu Gelatine, z.B. aus ausgekochten Kalbsfüßen. Den Sud goss man oben ins Bierfass und die Gelatine nahm auf dem Weg nach unten alle Schwebstoffe mit. Vollkommen legal und reinheitsgebotskonform. Da hat sich niemand aufgeregt. Denn wir erinnern uns: 500 Jahre reinstes Bier!
Aber Bier mit Gelatine ist natürlich nicht „rein“, also hat man vom 19. Jahrhundert an bis in die 1980er Jahre mit Asbest filtriert! Dass Asbest als Flitrationshilfsmittel auch ins Bier übergeht, hat man hingenommen. Störte nicht weiter, denn erstens ist keiner daran gestorben und zweitens war Asbest ja ein Hilfsmittel, kein Inhaltsstoff. Dass man nicht mehr mit Asbest filtriert, liegt übrigens nicht daran, dass die Fasern im Bier nachweisbar waren sondern weil man Asbest generell verbot.
Deshalb filtrieren wir jetzt mit Betoniten, Kieselgur zum Beispiel. Dabei handelt es sich um zermahlene, versteinerte Kieselalgen. Und die sind doch kein Problem, oder?
Der Filtrationshilfsstoff war zum Teil in toxikolgisch bedenklicher Weise mit den Schwermetallen belastet. Seither gibt es ein strengeres Monitoring, die Hersteller von Kieselgur werden besser überwacht und der Arsenwert sinkt. Aber soll mir das Vertrauen einflößen? Klar könnte ich mich freuen, dass unser Bier jetzt WIEDER rein ist. Aber hätte es das nicht dank „Reinheitsgebot“ von Anfang an sein müssen? Für mich sieht es so aus, als würde die Industrie jeden Stoff verwenden, der ihren Zwecken dient. Die „Reinheit“ steht dabei nicht an erster Stelle. Und wenn wir igendwann in Zukunft feststellen werden, dass Kieselgur auch nicht „rein“ genug ist wird der nächste Hersteller mit einem Wundermittel parat stehen. Solange, bis auch dessen Unverträglichkeit bewiesen wird … und weiter … und weiter …
In Sachen Stabilisator setzt man ja auf PVP/PVPP – auch da mit dem Hinweis, dass das Zeug aus dem Bier wieder herausfiltriert wird. Und zwar zu 100 %. Klingt gut, klingt rein. Und dann lese ich in einer Doktorarbeit zum Thema PVP/PVPP-Einsatz bei Wein und Bier folgenden Satz:
„Während der Anwendung dieser Polymere migrieren Restmonomere und Abbauprodukte in den Wein.“
Tja, und dann ist es wieder da, dieses Gefühl, dass das „Reinheitsgebot“ halt doch nicht so reines Bier zur Folge hat. Und dass ich mich von der Wasser-Malz-Hopfen-Hefe-Romantik Schritt für Schritt verabschieden muss. Zumindest bei den Brauereien, die mehr und mehr auf Chemie und Technik setzen!
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Mein Fazit: Das „Reinheitsgebot“ unterstützt die Großbrauereien und drückt indirekt den Bierpreis. Und das gefährdet unsere Brauereivielfalt!
Ich weiß, ich mache mich gleich unbeliebt – und das sicher auch bei den ganzen handwerklichen Brauereien, wenn ich so etwas behaupte. Aber lasst mich ein einfaches Gedankenspiel machen. Wir haben eine kleine, handwerklich arbeitende Brauerei. Die hält sich strikt an das Reinheitsgebot, braut mit regionalen Zutaten und kommt bei einem Kistenpreis von um die 13 € (ohne Pfand) über die Runden. Neben der Kiste der Landbrauerei steht eine Kiste Billigbier einer Großbrauerei – oder ein Karton Dosenbier, die Dose für 29 Cent! Zwei Kisten Pilsner, zwei sehr unterschiedliche Preise.
Warum kann die Großbrauerei so viel billiger arbeiten? Das hat der Chef der Paderborner Brauerei mal klipp und klar gesagt: Man spart bei den Rohstoffen! Schlechtere Wintergerste statt teurerer Sommergerste zum Beispiel. Oder um aus der Welt zu zitieren:
„Zudem wird auch beim Rohstoffeinkauf jeder Cent umgedreht. Natürlich verwenden alle heimischen Anbieter die gleichen Zutaten. Das schreibt schon das Reinheitsgebot von 1516 vor. Es gibt aber große Unterschiede beim Hopfen und der Braugerste. ‚Statt des teuren Aroma-Hopfens nutzen wir normalen Standard-Hopfen. Und statt besonderer Sommergerste nehmen wir auch preiswertere Wintergerste‘, sagt Böhling. […] Branchenkenner berichten davon, dass die Lkw der Rohstoffhändler nicht zurück in die Mälzerei fahren, wenn die Premium-Brauer die Ware aus Qualitätsgründen abgelehnt haben. Stattdessen gehe es direkt weiter zu den Billigbrauern.“
Klar, die 29 Cent bekommt man nicht ohne Abstriche bei der Qualität der Lebensmittel hin. Und natürlich ist auch die Wintergerste „rein“, egal ob jetzt vom Bauern nebenan oder aus dem billigeren Ausland. Aber was sieht der Konsument? Er sieht zwei Marken und zwei Preise, aber er hat wenig Chancen die Qualität des Produkts zu vergleichen. Und auf beiden steht derselbe Satz: „Gebraut nach dem Reinheitsgebot“. Für den Kunden sind beide Biere folglich rein und qualitativ vergleichbar. Am Ende entscheidet der Kunde nach Kriterien wie Werbung oder Preis. Und wer verliert da? Genau, der freundliche, qualitativ hochwertig arbeitende Brauer von nebenan. Wäre das Reinheitsgebot an Qualitätsansprüche gebunden, ein Qualitätsversprechen, könnte sich der Handwerker von nebenan von der Billigkonkurrenz absetzen. Kann man übrigens in einer Studie zum Reinheitsgebot und seine Verbraucher alles nachlesen.
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Zu guter letzt: Das Bayerische Reinheitsgebot ist wahrscheinlich verfassungswidrig!
Ich weiß, das klingt jetzt wie ein Witz, ist es aber nicht. Im Streit um ein historisches Bierrezept mit Zucker, den Neuzeller Schwarzen Abt stellte unser höchstes Verwaltungsgericht folgendes fest:
Soll heißen: Legt man das Reinheitsgebot streng aus und untersagt Ausnahmegenehmigungen, wie das in Bayern gemacht wird, dann ist dies verfassungsrechtlich bedenklich. Jeder Brauer, der momentan wegen eines Witbiers, eines Gewürzbiers usw. strafrechtlich verfolgt wird, der benachteiligt wird, könnte sich durch die Instanzen klagen. Und er würde Recht bekommen. Vielleicht nicht auf bayerischer Ebene, vielleicht auf nationaler Ebene, aber sicherlich auf Ebene der EU.
Das Reinheitsgebot, wie es im Moment gefeiert wird, hat ein ablaufendes Haltbarkeitsdatum! Ich weiß nicht, ob man das feiern muss. Oder ob es nicht besser wäre, es zu reformieren. Soll es die nächsten noch die nächsten 500 Jahre halten, wäre das dringend geboten. Was wir brauchen ist ein Reinheitsgebot 2.0. Und das ist nicht nur meine Einschätzung!
Noch einmal ganz deutlich. Ich will NIEMANDEM die Lust am Feiern nehmen. Ich gönne jeder Brauerei das Mehr an Gästen bei den vielen Events, die es in diesem Jahr geben wird. Und ich freue mich nach wie vor über jedes sauber gebraute Bier. Und ich habe größten Respekt vor allen Brauern, die mit Wasser, Malz, Hopfen und Hefe ihre Biere brauen.
Ich kann aber auch nicht über all die Ungereimtheiten und Hilfsstoffe hinwegsehen. Ich wünsche mir ein REINHEITSGEBOT, dass seinen Namen verdient. Eines, dass die kleinen Brauer im Land schützt und unterstützt. Eines, dass keine Marketing- oder Kompetenzlüge ist. Eines, bei dem weniger Chemie zur legalen Bierschönung eingesetzt wird!
Das wollte ich nur nochmal kurz loswerden …
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