Droht Weißbierbrauern eine Abmahnwelle?

Da haben wir gerade erst den „Skandal“ um das Pflanzengift Glyphosat im Bier halbwegs heruntergespült, schon droht die nächste Hiobsbotschaft in Sachen Reinheitsgebot. Und im Gegensatz zum Glyphosat-Skandal dürfte die so manchem bayerischen Bierliebhaber das Weißbier im Glas sauer werden lassen. Ausgerechnet der Bayern liebste Biersorte, das Weißbier, soll sich im Jahr des Reinheitsgebots nicht mehr mit dem Hinweis „gebraut nach dem Reinheitsgebot von 1516“ schmücken dürfen. Unfassbar! Doch Gottlob werden es die meisten Weißbierfreunde aufgrund fehlendem Medieninteresse gar nicht mitbekommen ….

Der Stein des Anstoßes: Ein Erdinger Weißbier

Der Stein des Anstoßes: Ein Erdinger Weißbier

Erste Beanstandungen 2011

Aber der Reihe nach: 2011 ging beim Beschwerdeportal lebensmittelklarheit.de des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (vzbv) eine Beschwerde – ausgerechnet aus Gräfelfing, dem Sitz der bekannten doemens Akademie – über viele Etiketten von Weißbieren ein. Am Beispiel des Marktführers Erdinger stellte der Beschwerdeführer fest:

Auf dem Etikett vieler Weißbiere, als Beispiel sei der Markführer Erdinger Weißbier genannt, findet sich der Hinweis “getreu dem bayerischen Reinheitsgebot von 1516”. Diese Bezugnahme ist im Fall von Weißbier weder inhaltlich noch historisch haltbar und somit meiner Meinung nach eine grobe Verbrauchertäuschung! Das bayerische Reinheitsgebot von 1516 erlaubte zur Bierherstellung die alleinigen Zutaten Wasser, Gerste und Hopfen.
(Quelle: http://www.lebensmittelklarheit.de/produkte/erdinger-weissbier)

Beim Erdinger Weißbräu sah man die Sache naturgemäß anders. Die Verteidigungslinie kann man knapp so zusammenfassen: Weizen ist wertvoller als Gerste, also könne der Verbraucher nicht getäuscht werden, wenn er etwas Besseres bekommt als das, was er bestellt. Im Originalwortlaut heißt es:

Alleine der Adel verwendete Weizen zur Bierherstellung. Schon damals wurde Weizen somit als kostbarer bewertet. Aus Gründen der Klarstellung hat der Gesetzgeber später konsequenterweise auch die zulässige Verwendung von Weizen gesetzlich normiert (vgl. aktuell § 9 Abs. 2 Vorläufiges Biergesetz). Erhält der Verbraucher aus seiner Sicht heute etwas „Besseres/Hochwertigeres“ als von ihm erwartet, kann er eine relevante Irreführung vor diesem Hintergrund durch den Einsatz von Weizen für die Bierherstellung nicht angenommen werden. Von Seiten der zuständigen Lebensmittelüberwachung erfolgten daher auch keine Beanstandungen.
(Quelle: http://zap.vzbv.de/b0334a1a-b1db-4ffb-b393-1dae6c12667f/HA_ErdingerWeissbier_Original_01313_ohne_Passus.pdf)

Nach Ansicht der Verbraucherzentrale Baden Württemberg stellt es trotzdem eine irreführende Werbung dar, wenn für ein Weißbier mit der Jahreszahl 1516 geworben wird. Denn im Originalwortlaut von 1516 heißt es ja, dass nur Wasser, Gerste und Hopfen für Bier verwendet werden dürften. Weizen war zum Brauen demnach nicht erlaubt:

Wir wöllen auch sonderlichen / das füran allenthalben in unsern Stetten / Märckthen / unn auf dem Lannde / zu kainem Pier / merer Stückh / dann allain Gersten / Hopffen / und Wasser / genommen und gepraucht sölle werden. Welher aber dise unsere Ordnung wissentlich überfaren unnd nie hallten wurde / dem sol von seiner Gerichtzöbrigkait / dasselbig vas Pier / zuestraff unnachläßlich / so offt es geschicht / genommen werden.
(Zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Reinheitsgebot)

Erdinger gibt nach

Im Jubiläumsjahr 2016 kam es dann endlich zur Entscheidung: Erdinger Weißbier wird eben nicht getreu dem Reinheitsgebot von 1516 gebraut. Die Brauerei hat eine Verzichtserklärung abgegeben und wird in Zukunft nicht mehr mit der prominenten Jahreszahl werben. Bis zum 31. Juli 2016 wird der Brauerei eine Aufbrauchsfrist gewährt. Danach ist Schluss mit Weißbier gebraut nach dem bayerischen Reinheitsgebot von 1516. Danach ist nur der Hinweis auf das Reinheitsgebot ohne die prominente Jahreszahl erlaubt. Zumindest für Erdinger …

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Bei Schöfferhofer ist man mit dem Hinweis auf das deutsche Reinheitsgebot auf der sicheren Seite.

Droht jetzt eine Abmahnwelle?

Da sich die Original-Beschwerde auf „viele Weißbiere“ bezieht und die Brauerei Erdinger nur als Beispiel nennt, könnte man sagen, dass ein Präzedenzfall geschaffen wurde, der eigentlich ein Paukenschlag wäre – würde er nur öffentlich wahrgenommen. Nur hört und liest man im Gegensatz zum Glyphosat-Skandal kaum etwas in Presse, Rundfunk und Fernsehen darüber. Dabei wäre die Wirkung hier weitaus verheerender als beim Thema Glyphosat. Jede Brauerei, die auf ihren Etiketten mit dem Hinweis auf das Reinheitsgebot von 1516 wirbt, wäre jetzt von einer Beanstandung/Beschwerde oder gar Abmahnung betroffen. Und das sind nicht wenige. Was bedeutet, dass auch sie wie Erdinger ihre Produkte wohl besser möglichst bald umdeklarieren sollten, wollen sie nicht ebenfalls erfolgreich abgemahnt werden. Schaut man sich in den Getränkeregalen der Republik um, könnte eine ganze Welle von Abmahnungen folgen – und die könnte vor allem auch Kleinbrauereien treffen. Aber nicht nur die.

Auch Maisel in Bayreuth wirbt mit der strittigen Jahreszahl 1516.

Auch Maisel in Bayreuth wirbt mit der strittigen Jahreszahl 1516.

Die beträfe wie gesagt nur die Weißbiere, die mit der Jahreszahl 1516 werben oder auf diese Brautradition verweisen. Die Bezeichnung „Gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot “ verweist auf das Vorläufige Biergesetz und ist dementsprechend nicht zu beanstanden. Die Formel „Gebraut nach “ bzw. „Getreu dem Bayerischen Reinheitsgebot “ ist wohl auch nicht weiter zu beanstanden. Allerdings könnte man hier einwerfen, dass der Verbraucher unter „Bayerisches Reinheitsgebot“ ja nichts anderes als die Regelung von 1516 verstehen dürfte. Ungeklärt ist auch, wie die Aussage einer Brauerei auf ihrer Homepage zu werten sei, dass alle Sorten natürlich nach dem Reinheitsgebot von 1516 gebraut seien. Wenn es dann Weizenbiere im Sortiment gibt, würde es schon wieder kritisch. Aber wer will mit dem Satz werben: „Alle unsere Biere (mit Ausnahme der Weißbiere) sind nach dem Reinheitsgebot von 1516 gebraut„. Solche Brauereien werden demnächst lieber auf die Jahreszahl verzichten. Was im Jubiläumsjahr 2016 ein ganz schöner Dämpfer für die 1516-Freunde wäre.

Schneider verzichtet auf die Jahreszahl.

Schneider verzichtet auf die Jahreszahl.

Was bedeutet eigentlich „Getreu dem Reinheitsgebot von 1516“ eigentlich heute für uns?

Aber wie kommt man überhaupt darauf, als Weißbierbrauer mit der Formel „Getreu dem Reinheitsgebot von 1516 “ zu werben? Eigentlich sollte man  Brauer doch von Grund auf gelernt haben, was diese Formel bedeutet – und was eben nicht?

Bei nicht wenigen Brauereien dürfte es schlicht „Bequemlichkeit“ sein, die den Satz aufs Etikett bringt. Wer nach Pils und Hellem (rein aus Gerstenmalz und natürlich gebraut nach dem Reinheitsgebot von 1516) ein Weizen ins Sortiment übernimmt, übernimmt häufig unhinterfragt das Layout der Etiketten für das Weizen. Und prompt schleicht sich der „1516-Fehler “ ein.

Oettinger

Auch Oettinger wirbt wie auf allen anderen Etiketten beim Weizen mit der Jahreszahl 1516!

Andere Brauereien setzen dagegen durchaus bewusst auf die Formel „Gebraut nach “ bzw. „Getreu dem bayerischen Reinheitsgeboit von 1516“. Das hängt mit der Bedeutung des Satzes zusammen. Er steht wie kein anderer für die urbayerische Brautradition und vor allem die besondere Reinheit des eigenen Produkts. Das „deutsche Reinheitsgebot “ klingt bei weitem nicht so zugkräftig wie der Hinweis auf das historisch-bayerische.“Gebraut nach dem Reinheitsgebot von 1516 “ – da schwingen Emotionen mit, Traditionen und vor dem geistigen Auge prosten sich „gstandene Mannsbilder “ in Lederhosen mit ihren Weißbiergläsern zu. Der Satz repräsentiert die bayerische Bier-Leit-Kultur wie kein zweiter. Das soll beim Weißbier nicht mehr erlaubt sein?

Weißbier schwächt die Markenaussage

Und trotzdem ist es meiner Meinung nach richtig und wichtig, dass auf Weißbieren der umstrittene Hinweis verschwindet. Denn er höhlt die Markenaussage des Satzes „Gebraut nach dem Reinheitsgebot von 1516“ aus. Nimmt man dem Satz seinen historischen Inhalt, übergibt man ihm der Beliebigkeit. „Gerste“ ist eben nur Gerste und nicht auch Weizen. Wie wollte man denn sonst historisch erklären, warum Gerste zwar auch Weizen bedeuten dürfe, keinesfalls aber Reis, Mais oder eine andere Stärkequelle? Schließlich haben Biere mit Honig auch eine lange Tradition in Bayern.

Auf den Flaschen wirbt Franziskaner mit der Aussage "Nach alter Brautradition" ...

Auf den Flaschen wirbt Franziskaner mit der Aussage „Nach alter Brautradition“ …

Das sogenannte Reinheitsgebot hat einen langen Weg hinter sich – von den drei Zutaten, die 1516 erwähnt wurden, bis hin zum heutigen Vorläufigen Biergesetz mit seinen Extrakten, Farbebier, Gärungskohlensäure und Hilfsstoffen … Es hat sich in den letzten 500 Jahren immer wieder verändert und das, was heute erlaubt ist, stimmt nur im allerkleinsten Kern noch mit dem überein, was 1516 formuliert wurde. Oder anders ausgedrückt: Hätte man ein Bier, das mit allen Möglichkeiten aus dem Vorläufigen Biergesetz von 1993 gebraut wurde, 1516 ausschenken wollen, man hätte ordentlichen Ärger mit der Obrigkeit bekommen. 1516 hätte man den Gebrauch von Zucker oder Farbebier bei obergärigen Bieren eher als „Rosstäuscherei“ denn als erlaubte Zutaten gesehen. Wer sich aber mit der Formel „Gebraut nach dem Reinheitsgebot von 1516“ schmücken will, muss sich auch besonders an die historische Kernaussage halten. Sonst verkommt das Reinheitsgebot von 1516 zur Piemont-Kirsche der Brauwirtschaft.

... auf den 5 Liter Partydosen steht dagegen die strittige Aussage "Getreu dem bayerischen Reinheitsgebot".

… auf den 5 Liter Partydosen steht dagegen die strittige Aussage „Getreu dem bayerischen Reinheitsgebot von 1516“.

Ist dann überhaupt irgendein Bier getreu dem Reinheitsgebot von 1516 gebraut?

Jetzt wird es ein wenig schwierig. Man kann Bier vernünftigerweise nicht ohne Hefe als Zutat brauen. Aber Hefe wird im Original-Reinheitsgebot nicht als Zutat erwähnt/erlaubt. Im Gegensatz zum Getreide ist die Sachlage bei der Hefe anders. Im Mittelalter (und auch danach noch) war das Prinzip von Ursache und Wirkung nicht so präsent, wie es das heute ist. Von tiefergehenden chemischen und biologischen Vorgängen ganz zu schweigen. Dass Hefe ein lebender Organismus ist, der sich vom Zucker im Bier ernährt, sich dabei vermehrt und als Stoffwechselprodukte Alkohol und Kohlendioxid ausstößt, war schlichtweg nicht bekannt. Für den damaligen Brauer sah die Situation eher so aus: man braute sein Bier, kühlte es, gab manchmal vielleicht sogar von dem „Zeug“, das beim letzten Brauvorgang in den Fässern blieb, etwas dazu und wartete ansonsten. Mit der Zeit bildete sich dann ein Schaum auf dem Bier und das Bier vergor. Für den Brauer entstand die Hefe also eher während der Gärung, als dass er sie als Zutat verstand. Wollte man Biere wegen der Zutat Hefe abmahnen, sähe ich keine Chancen. Wie die Sachlage bei der Zugabe von Farbebier und Gärungskohlensäure aussieht, steht in meinen Augen auf einem anderen Blatt. Da könnte ich mir eher vorstellen, dass eine Beschwerde erfolgreicher wäre.

Die Jahreszahl 1516 ist Teil des gesamten Marketingauftritts von Erdinger.

Die Jahreszahl 1516 ist Teil des gesamten Marketingauftritts von Erdinger.

Wie und ob sich die deutsche und bayerische Brauwirtschaft durch die erfolgreiche Abmahnung die Feststimmung vermiesen lässt, bleibt abzuwarten. Ein Jubiläums-Weizen anlässlich des Reinheitsgebots von 1516 unters Volk zu bringen, wäre jetzt natürlich ungeschickt. Ansonsten wird es dank fehlendem Medieninteresse kaum einem auffallen, wenn sich im Laufe des Jahres die Weißbieretiketten ändern werden. Auch das gehört zum Reinheitsgebots-Jubiläum: Als Grund zum Feiern wird es gerne hergenommen. Aber was es bedeutet, wissen die wenigsten. Immerhin ist es jetzt in Sachen Weizenmalz ein wenig klarer.

Erdinger Weißbier gibt es im REWE-Markt bei mir ums Eck übrigens grad im Sonderangebot. Mal sehen, ob die nächsten Etiketten schon anders aussehen …