So, jetzt ist sie tatsächlich da, die Nummer 1.000. Zwar nicht die tausendste Kolumne, aber das eintausendste Bier, über das ich schreibe. Und ich muss ein wenig ausholen. Denn zu diesem Bier gibt es eine Geschichte, besser gesagt eine Ballade:

Die Ballade von John Barleycorn.

Kennengelernt habe ich sie in der Version von Jethro Tull auf dem wie ich finde genialen Live Album „A little light music“, aber es gibt davon zig Versionen. Schließlich existiert dieses Volkslied schon seit dem 16. Jahrhundert in England und Schottland. Und auch wenn eine Nacherzählung nie so wort- und bildgewaltig sein kann, wie das Original, will ich den Inhalt kurz umreisen.

Drei Männer kommen eines Tages von Westen her übers Land, getrieben von einem gemeinsamen Schwur: John Barleycorn muss sterben! Und sie ruhen nicht eher, bis dass sie ihn unter die Erde gebracht haben. Dort lassen sie ihn verscharrt, während Regen und Wind übers Land ziehen. John Barleycorn aber ersteht wieder auf und wächst bis zur Mittsommerwende wieder zu einem Mann heran. Da die drei aber geschworen hatten, dass John Barleycorn sterben müsse, heuern sie Männer an, die den Wiedergänger mit scharfen Sensen zu Fall bringen, und weitere, die ihn mit Heugabeln durchbohren. Sie binden ihn auf einen Wagen und bringen ihn zum nächsten Hof, wo weitere gedungene Gestalten mit Stöcken und Stangen auf ihn einprügeln, bis sich die Haut von den Knochen schält. Damit aber nicht genug, wird der so geschundene von einem Müller zwischen zwei Mühlsteinen zerquetscht.
Doch was auch immer man dem armen Sir John Barleycorn angetan wird, er will und will nicht sterben, sondern erscheint nach all der Tortur in neuer Form – nämlich als Bier oder Brandy. Bei John Barleycorn handelt es sich nämlich um nichts anderes als die Personifizierung von Alkohol aus Gerste.

Ich finde, das Lied hat etwas episches, ja fast schon „pseudoreligiös“ in seinen Bildern von Tod und Auferstehung. Mag der Wein auch als Sinnbild für Christus gesehen werden („Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“), so ist das Weizen- oder auch das Gerstenkorn in der Bibel ein Gleichnis für seinen Tod und seine Auferstehung („Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“). Auch wenn es vielleicht ein wenig blasphemisch ist, das in einem „Trinklied“ zu verarbeiten.

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Genauso wie das heutige Bier des Tages etwas mit „John Barleycorn“ zu tun hat, so hat es auch etwas mit dem in der Regel als edler geltenden Wein zu tun. Denn es geht um den Weyermann Braumanufaktur® Barley Wine. Ein Gerstenwein? Ja, eine Sorte, um deren Entstehung es eine nette Geschichte gibt. Zu Zeiten der Napoleonischen Kriege sollen die Engländer keine französischen Weine importiert haben. Um dieses „Defizit“ irgendwie auszugleichen – Weinbau ist auf der Insel ja wettertechnisch eher ungünstig –, soll man mit so lange experimentiert haben, bis man ein Ale mit der Stärke von Wein bekam. Ob es tatsächlich so war? Wer weiß. Sicher ist hingegen, dass 1870 der erste so genannte Barley Wine auf den Markt kam. Zumindest der erste der Moderne, denn auch die alten Griechen sollen schon „κρίθινος οἶνος“ getrunken haben. Jedenfalls wird so einiges unternommen, um aus einem Ale einen Gerstenwein zu machen. Unter anderem können diese Biere längere Zeit in Holzfässern gereift werden. Über ein Jahr ist da keine Seltenheit. Ich erinnere mich an ein Foto auf der Weyermann® Facebook-Seite, auf dem Adam Brown stolz vor einem bauchigen Holzfass steht. Darin der Weyermann® Barley Wine. Das Foto (http://on.fb.me/1cux2xz) stammt vom 13.03.2012. Seitdem sind anderthalb Jahre vergangen. Ehrlich gesagt, hatte ich gar nicht mehr an das Bild und den Barley Wine gedacht, bin ich ein passendes Bier für dieses Jubiläum gesucht hatte.

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Und, Freunde, mal ganz ehrlich: Ein passenderes hätte ich nicht finden können. Es ist sicher eines der exklusivsten und auch in seiner langen Reifephase edelsten Biere, die ich bisher verkosten durfte. Eineinhalb Jahre Lagerzeit muss man sich in der sonst eher recht kurzlebigen Bierszene erst mal leisten können. In der gleichen Zeit könnte man das Holzfass auch mit zwei oder drei Chargen anderer Biere belegen können. Betriebswirtschaftlich wäre das lohnenswerter gewesen. Vielleicht ist der Weyermann® Barley Wine auch das erste Bier, das tatsächlich in die Sektflasche passt. Nichts gegen IPAs usw. in jener Flaschenform. Aber wie lange reift so ein „gewöhnliches“ IPA? 8 Wochen, vielleicht auch zwölf? In der Zeit, die ein Sud Barley Wine braucht, könnte man sieben bis zehn Sude IPA herstellen. Der Begriff „Edelbier“ relativiert sich, wenn man ihn neben etwas noch edleres stellt.

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Aber jetzt habe ich lange genug um den heißen Brei geredet. Wie sieht so ein Barley Wine jetzt aus, wie riecht er und wie schmeckt er vor allem? Kurz gesagt: Phantastisch. Das soll jetzt nicht so „snobistisch“ klingen, wie es wahrscheinlich tut. So nach dem Motto: „Ist edel, muss gut sein!“ Nein, er ist gut! Angefangen von der Farbe, einem wunderbaren Kastanienton mit Rotstich, über den Geruch bis hin zum Geschmack. Übrigens Geruch. Ich denke, dieses Bier könnte man blind alleine am Geruch erkennen. Zumindest aber kann man erkennen, woher es kommt. Denn so riecht Weyermann®. Ich fahre ja häufiger an der Mälzerei vorbei und da hat man dieses volle Malzaroma, fast schon eine Wand, die man durchquert. Und so ähnlich muss man sich das Malzaroma des Barley Wine vorstellen: Malzig, aber komplex malzig. Eben Weyermann®.
Wenn man sich genügend mit der Farbe und dem Geruch beschäftigt hat, lässt man den Gerstenwein langsam in den Mund „gleiten“. Der Barley Wine hat ein leicht samtiges Mundgefühl. Das fällt als erstes auf. Dann kommt das Malz, gerstig, komplex, voluminös. Noten von Rosinen, Toffee, Honig kommen einem in den Sinn, bevor sich der Nachhall heranschleicht, mit seiner trockenen, ein wenig holzigen Herbe, einer leichten Alkoholschärfe (immerhin 10,5%!), den angenehmen Röstnoten, holzig, brotig, … Im Nachhall meint man dann einen Sherry oder vielleicht auch leichten Whiskey zu erkennen.
Mal ganz ehrlich? Ein besonderes Bier für besondere Anlässe. Ein Bier für zweisame Abende mit Kerzenschein. Ein Bier wie die Ballade von John Barleycorn. Ein Bier zum Augen-Schließen und Träumen, von goldenen Gerstenhalmen, die sich sanft im Wind wiegen, glutroten Sonnenuntergängen, drei Männern auf Pferden im gestreckten Galopp, die sich nichts anderes geschworen haben, als aus John Barleycorn so etwas enstehen zu lassen. Little Sir John, das war all die Tortur wert, die du hast erleiden müssen.

Ich für meinen Teil werde John Barleycorn in der Version von Jethro Tull sicher nicht mehr hören können, ohne an den Barley Wine zu denken. Und daran, dass Bier eben nicht einfach „nur“ Bier ist. Für die Gersten-Liebhaber – sei es nun in Form von Bier, Gersten- oder Weizenwein oder gar Whiskey – gilt halt doch, was in der letzten Strophe der Ballade steht:

Now the huntsman, he can’t hunt the fox,
Nor loudly blow his horn.
And the tinker, he can’t mend his pots
Without john barleycorn,