Leute, lasst uns mal über vertane Chancen reden. Denn auch trotz sinkendem Bierabsatz, Marktbereinigung und Brauereisterben glaube ich, dass einem das Produkt Bier in Deutschland Chancen bietet. Man muss sie nur erkennen und nutzen.

Aber der Reihe nach. Bei meiner letzten Unterfranken-Exkursion fiel mir eine Flasche Würzbuger Bürgerbräu Pils in die Hände. Das ist – euohemistisch ausgedrückt – eine Tochtermarke der Würzburger Hofbräu AG, die wiederum Teil der Kulmbacher Brauereigruppe ist, die wiederum selbst über die Brauholding International mit Heineken verbandelt ist. Da könnte man an geballte Bierkompetenz denken. Oder auch nicht.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

Das Bürgerbräu Pils stellt im Sortiment der Würzburger sowas wie eine regional-sentimentale Günstigmarke dar, um es mal nett zu formulieren. So, wie Tucher halt noch Humbser produziert vielleicht. „Würzburgs alte Liebe“ steht auf den Etiketten. Eine Liebesbeziehung, die ich nicht unbedingt so nachvollziehen kann. Gut, das recht goldene Pils riecht schon sein wenig blumig. Das kann nicht jedes Pils. Aber sonst ist es ein typisch deutsches Pils in dem Sinne, dass es halt ein wenig Hopfen mehr gesehen hat. Im Aroma kommt der Hopfen dabei tatsächlich ein wenig mehr durch als in Sachen Bittere, was für ein Pils eigentlich fatal ist, für ein fränkisches Pils so geht. Immerhin kratzt es einem nicht so pellet-bitter den Hals hinunter. Aber verlieben würde ich mich in so ein Bier nicht.OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

Bis dahin ist auch alles so, wie es überall in Deutschland ist – und ein typisches Beispiel für Marktbereinigung. Die Würzburger Hofbräu wurde Anfang des 19. Jahrhunderts gegründet, wuchs stetig, war die erste bayerische Brauerei, die in die USA exportierte und überlebte auch das Brauereisterben der Wirtschaftskrise und den zweiten Weltkrieg. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es in Würzburg nur noch zwei Brauereien, eben jene Bürgerbräu und die Hofbräu. Und wer wie ich häufiger die Geschichten von Brauereien liest, weiß jetzt schon, dass das nicht gut gehen kann. 1952 wird aus der Bürgerbräu eine Aktiengesellschaft, 1972 übernimmt die Patrizier die Bürgerbräu AG. Für die meisten Brauereien mit dem selben Schicksal das Todesurteil. Da nutzten auch die 300.000 Hl Ausstoß pro Jahr nichts. 1989 war Schluss mit lustig und die sehenswerten Gebäude der Brauerei wurden „ausgeweidet“. An der Marke Bürgerbräu schien der Tucherkonzern wenig Interesse zu haben, denn gebraut wird das Bier wie gesagt, jetzt bei der Konkurrenz aus dem Kulmbacher-Konzern. Wie gesagt, so weit ist es nichts besonderes. Das passierte in Deutschland so oder so ähnlich hunderte Male. Mindestens.

Jetzt ist es aber so, dass einige Unternehmer aus dem Bürgerbräu-Areal eine Art modernes Dienstleistungscenter machen wollen. Ein ehrgeiziges, aber auch interessantes Projekt. Denn da gibt es z. B. Made for Bürgerbräu, einen Shop für ehrliche Designprodukte. Da findet sich allerlei Witziges und Stylishes: Trabischeinwerfer-Lampen oder Pralinen mit QR-Code u.v.m.

Tja, und jetzt kommt der Punkt mit der Chance. So ein Areal, so ein Konzept und so eine Geschichte sind eigentlich prädestiniert für eine kleine, hippe Brauerei, die neben einem satten Pils, das seinen Namen verdient, vielleicht auch noch das eine oder andere moderne Bier produziert, das in dieses Konzept passen würde. Warum traut man sich sowas beim Kulmbacher-Konzern nicht? Warum geht man nicht den Schritt, den Jeff Maisel z. B. mit den Maisel&Friends-Bieren geht? Warum investiert man nicht ein wenig Kohle als Inhaber der Marke? Eine kleine „Bürgerbräu Craftbier-Schmiede“ auf dem Areal der historischen Bürgerbräu? Was ließe sich da nicht alles anstellen? Und das Marketing könnte man sich komplett sparen, für die Presse wäre diese Verbindung aus Alt und Neu ein gefundenes Fressen. Stattdessen schnitzt man das Pseudo-Retro-Sternal und als Innovation noch ein Sternla Radler mit echtem Zitronensaft. Vertane Chancen, sage ich da nur. Anders kann man es nicht ausdrücken.