Wie versprochen bleibe ich noch ein wenig beim Thema „unreine Biere“. Davon gibt es gefühlt immer mehr. Ich schreibe extra „gefühlt“, weil es kaum belastbare Zahlen gibt, wie viele Biere in Deutschland gegen das Reinheitsgebot (oder sagen wir besser: am Reinheitsgebot vorbei-) gebraut werden. Das liegt vor allem daran, dass es keine Rechtssicherheit für alle gibt, die mit Gewürzen, Kaffee, Früchten oder Ähnlichem brauen. Zwar wäre die Sachlage einfach, denn §9 Absatz 7 des Vorläufigen Biergesetzes regelt die Sache klar:

„Auf Antrag kann im einzelnen Falle zugelassen werden, daß bei der Bereitung von besonderen Bieren und von Bier, das zur Ausfuhr oder zu wissenschaftlichen Versuchen bestimmt ist, von den Absätzen 1 und 2 abgewichen wird. Für die Zulassung von Ausnahmen sind die nach Landesrecht zuständigen Behörden zuständig.“

Aber die Sache hat halt mehr als nur einen Haken. Das Vorläufige Biergesetz gilt nämlich genau genommen nicht mehr, lebt aber im Gesetz über den Übergang auf das neue Lebensmittel- und Futtermittelrecht und in der Bierverordnung weiter. Außerdem ist natürlich auch noch das Gesetz zur Neuordnung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts zu beachten. Wer sich da jetzt denkt: Da blickt doch keine Sau mehr durch, dem kann man nur zustimmen. Die Sachlage ist verworren, selbst Brauer wissen bisweilen nicht, was sie jetzt dürfen und was nicht. Bei der für die Zulassung von Ausnahmen (die es in Bayern ja nicht geben darf!) sieht es manchmal nicht besser aus. Welche Zusatzstoffe sind erlaubt? Welche Hefe-Malz-Kombination? Darf man Biere mit Kohlensäure aufkarbonisieren? Und wer kontrolliert, ob es sich dabei um technisches CO2 oder Gärungskohlensäure aus der Bierbereitung handelt?

Ihr seht, eine Neuordnung (oder überhaupt mal eine „vernünftige“ Ordnung) aller das Bier betreffenden Regeln in einem „Bier-Gesetzbuch“ wäre dringend nötig. Dann könnten Brauer auf einen Blick sehen, was sie dürfen, welche Bierstile, Gewürze oder Früchte ausnahmefähig wären usw. Außerdem wäre mal zu klären, ob die rigorose Weigerung Bayerns (und wohl auch teilweise Baden-Württembergs) Ausnahmen nach §9 (7)  VorlBierG zuzulassen rechtlich überhaupt Bestand hätte. Aber – und das macht die Sache noch komplizierter – Bier ist halt kein Thema wie jedes andere. Man kann sich lebhaft vorstellen, was in der Boulevardpresse und den Social-Media-Accounts diverser Parteien los ist, wenn man Hand ans „geheiligte Reinheitsgebot“ legen würde. Wie gesagt, es geht nicht darum, das Reinheitsgebot zu kippen! (Was den Populisten unter den Journalisten/Politikern egal sein wird.) Es geht darum, dass alle Brauer in Deutschland dieselben Möglichkeiten beim Brauen haben. Ob sie diese dann nutzen oder nicht, ist nach wie vor ihnen überlassen.

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Und so werden Biere wie das Red Lips, das ich euch heute vorstellen möchte, weiterhin in einer Art „Grauzone“ gebraut und verkauft werden. Oft gibt es sie in nur so geringen Mengen, dass sie sozusagen „unter dem Radar“ fliegen. Das Red Lips der Brauerei Zwanzger in Uehlfeld (übrigens eine recht urige, coole Brauerei mit handwerklich soliden, süffigen Bieren nach dem Reinheitsgebot!) bricht nämlich mit dem heligsten Gesetz der Bayern. Neben Wasser, Malz, Hopfen und Hefe kommen in das Bier nämlich auch noch  Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren udn Johannisbeeren. Eben alles, was man in einen Bier-Frucht-Cocktail auch geben würde. Der Beerenmix ergibt eine ordentlich rote Farbe. Auch in der Nase hat man sofort eine herrliche Sommer-Fruchtigkeit. Geschmacklich ist es für den echten Biertrinker eine Herausforderung: Ist das noch Bier? Spritzig füllt es den Mundraum, füllt ihn mit der Beerigkeit, die man bei der Farbe erwarten darf. Für meinen Geschmack ist das Red Lips übrigens nicht zu süß.
Malz und Hopfen? Ja, die sind auch da, begleiten das Ganze. Gerade der Hopfen Monroe ist für seine beerigen und krischigen Aromen bekannt. Wo also die Fruchtigkeit des Hopfens aufhört und wo die der verbrauten Beeren anfangen, bleibt das Geheimnis des Red Lips.  Was aber kein Geheimnis bleiben sollte. So ein Bier wie das Red Lips ist – trotz seiner 5,2 % Alkohol – ein echter Sommerdrink. Diese roten Lippen könnte man einen Sommer lang gut und gerne küssen …

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Bleibt die Frage, warum ein Brauer vom fränkischen Land wie Christian Zwanzger solche Biere braut, die er eigentlich nicht brauen dürfte. Darauf gibt es mehrere Antworten:
Erstens schlicht und einfach, weil er Lust darauf hat. Wo kämen wir hin, wenn man nicht ab und an ein wenig experimentieren dürfte? Jedenfalls nicht weiter. Und wenn es andere dürfen, warum man selbst nicht auch?
Zweitens – und das darf man nicht vergessen – bringen einem solche Biere Aufmerksamkeit auf Messen und im nahen Ballungsraum Nürnberg-Fürth-Erlangen. In Franken gibt es viele Landbrauereien und viele brauen ordentliche Helle, Dunkle, Kellerbier usw. Sich da von den Mitbewerbern rund um den Schornstein abzusetzen, ist schwer. Mit einem Fruchtbier lockt man Kundschaft in die eigene Brauerei, die sonst nicht käme. Solche Bier erhalten also die gewachsene fränkische Biertradition, auch wenn das zunächst wie ein Widerspruch klingt.
Es geht bei einem Fruchtbier wie dem Red Lips ja nicht darum, teure Inhaltsstoffe durch billigen Schrott zu ersetzen. Es geht nicht darum, den gewinnoptimierten „erdbeerlosen Erdbeerjoghurt“ endlich auch in der Brauindustrie einzuführen!

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Mal ehrlich: Es ist doch eine perverse Situation (anders kann man es nicht ausdrücken), dass jedes mit Farbe und Chemie zusammengepanschte Bier-Mischgetränk erlaubt ist, während ein Bier wie das Red Lips, das aus natürlichen Zutaten hergestellt wird, illegal sein soll! Wie soll man das bitte mit dem Gedanken der Reinheit beim Bier (die ja vorsorglich für alle Mischgetränke nicht gilt!) irgendwie vernünftig in Übereinstimmung bringen. Mische ich Früchte beim Brauen ins Bier ist es illegal. Mische ich Fruchtsaft nach dem Brauen ins Bier ist es legal. Da langt man sich doch an den Kopf – außer man sorgt sich um die Meinungshoheit an erzkonservativen Stammtischen. Und die ist in Bayern genauso heilig wie das Reinheitsgebot …