Heute muss ich mal ein wenig zurückgreifen. Meine „Biersozialisation“ erfolgte so grob gesagt Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger. Ich denke, das dürfte so die prägende Zeit gewesen sein. Aber nicht nur biertechnisch haben mich die Achtziger geprägt. Auch was Klamotten anging, war das eine überaus prägende Zeit.Lederer 1

Was mich jetzt ganz rasch zum heutigen Bier des Tages bringt. Das Lederer Pils aus Nürnberg/Fürth war damals bei mir und meinen Freunden nämlich regelrecht verschrieen. Kneipen, die Lederer ausschenkten, mieden wir wie der Teufel das Weihwasser. Denn für das Lederer mit dem charakteristischen Krokodil im Etikett hatten wir ziemlich verächtlich nur ein Schimpfwort übrig:

„Lacoste-Bier“

Die Analogie lag nahe, nicht nur besagten Krokodils wegen. Aber wer Lederer trank, trug auch Polohemden, hörte Pop Musik und war damals in unseren Augen auch zu sonst nichts zu gebrauchen. Wir dagegen diskutierten nächtelang über die beste Besetzung von Deep Purple, tranken Land-, Keller- oder Rauchbiere, gerne aus schweren Bügelverschlussflaschen die damals noch eher selten waren. Wir waren unangepasst, kauften originale 70er-Jahre-Lederjacken auf Flohmärkten und verweigerten uns allen möglichen Statussymbolen. Ein „Lacoste-Bier“ kam da überhaupt nicht infrage. Ehrlich, mein letztes Lederer-Bier muss ich irgendwann zu der Zeit mal in einer Kneipe getrunken haben, von der ich heute gar nicht mehr sagen könntem, wo sie war. Jedenfalls war es kein schönes Erlebnis.

Lederer 5

Als ich letzthin beim „Bier-Shoppen“ mal wieder am Lederer vorbeikam, war ich tatsächlich ein wenig überrascht. Das gibt’s tatsächlich immer noch. Aber warum auch nicht? Wir hingen damals in den Sechzigern und Siebzigern fest. Und heute feiern die Achtziger ihre penetrant-permanenten Revivals. Was für uns damals stilistisch nah am Brechmittel war, gilt heute als Retrocool. Was früher angepasstes Spießertum war, ist heute avantgarde. Was man so auch auf der Lederer-Homepage lesen kann:
„Über all die Jahrhunderte hinweg biederte sich die Marke Lederer nie an den Zeitgeschmack an oder ging faule Kompromisse ein – nur um des Erfolgs willen.“

Lederer 6
Die Ursprünge der Lederer Brauerei gehen zwar bis ins Jahr 1468 zurück, aber die jahrhundertelange Tradition hat zumindest seit der Übernahme durch Schickedanz „ein Loch“. Erst 1980 ließ man die Marke Lederer neu aufleben. Und ein paar Jahre später trafen sich Lederer und ich zum ersten und zugleich auch letzten Mal. So ganz vorurteilsfrei in so einen Biertest zu gehen, geht vor diesem Hintergrund nicht. Aber neben all den Vorbehalten war da auch Neugier. Das Lederer Pils wirbt schließlich mit der Aussage „unerbittlich herb“ – und das sieht der craftbiererfahrene Bier-Nerd, der ich mittlerweile bin, schon fast als Kampfansage. Optisch sieht es für ein Pils recht hell aus. Da steigen in Gedanken Begriffe wie „Spülwasser“ oder Schlimmeres aus dem Stammhirn – oder wo auch immer prägende Erfahrungen gespeichert werden – wieder hoch.

Lederer 3Früher hätte ich ja nie an einem Lederer gerochen. Wozu auch? Es könnte ja bestenfalls nach Hopfen riechen. Aber früher mochte ich kein Pils. Heute ist es anders. Auch heute noch riecht ein Lederer Pils vor allem nach Hopfen. Und ja, es gibt sehr interessante und aromatische Hopfensorten, aber das hier riecht „einfach nur nach Hopfen“. Ein wenig grasig, ein wenig Citrus … Standard einfach. Nicht aufregend, aber immerhin deutlich hopfig. Da kenne ich mittlerweile wesentlich Langweiligeres.Der erste Schluck signalisiert einem deutlich: Ich bin ein Pils! Schlank wirkt es, trocken und mit deutlichem Hopfenaroma, wobei man jetzt positiv anmerken muss, dass man nicht dieses pellet-kratzige Mundgefühl hat. Für ein fränkisches Pils ist es jedoch anständig gehopft und hintenraus auch ordentlich herb. Vielleicht jetzt nicht „unerbittlich herb“, da gibt es Craftbiere, die einem deutlich mehr Bittereinheiten um die Mandeln prügeln. Aber für ein klassisches (und vor allem fränkisches) Pils ist es knackig-trocken. Wobei es dabei nicht bleibt. Der Hauptkritikpunkt an einem typisch deutschen Pils ist ja, dass es zum einen wässrig und zum anderen bitter wäre, dass aber die Aromenkomponenten immer mehr in den Hintergrund träten. Da muss ich das Lederer Pils jetzt in Schutz nehmen. Bis in den Nachhall hinein hält sich das Hopfenaroma. Da gibt es im Bereich „typisch deutsches Pils“ wesentlich schlechtere Biere. Ich war vom Lederer Pils jedenfalls überrascht.Was vielleicht an einer einsetzenden Altersmilde liegen könnte. Schließlich hat sich mein Geschmack in Sachen Musik und Kleidung auch ein wenig verschoben. Zwar habe ich immer noch kein Lacoste Poloshirt im Schrank und Lederer Pils wird in Zukunft auch weiterhin nicht mein Stammbier werden, aber mit ein wenig Fantasie könnte ich mir für die Marke so einiges vorstellen.

Lederer 2Wenn man sich sowieso schon ein recht hopfenbetontes, unerbittlich herbes und cooles Image gibt, läge es doch auf der Hand, mal mit anderen Aromahopfen zu spielen. Warum kein Lederer Cascade? Oder ein Lederer Polaris? Und warum nicht mal ein Lederer Pils brauen, das wirklich „unerbittlich herb“ ist? Das könnte man z. B. nach der IBU-Zahl (also den Bittereinheiten) Lederer 50 nennen. Oder wie wäre es mit einem Lederer 75? Solche Biere hätten erstens ein Alleinstellungsmerkmal auf dem deutschen Biermarkt. Und sie würden zum bestehenden Marketing passen. Ich kann mir nicht helfen, aber bin ich da zu visionär? Oder ist das nur eine Spinnerei? Und warum hat bei Tucher/Oetker niemand sonst solche Ideen?

Eine Sache soll übrigens noch erwähnt werden. Das erste Transportgut, das mit der Eisenbahn in Deutschland von A nach B gebracht wurde, waren am 11. Juli 1836 zwei Fässer Lederer Bier auf ihrem Weg von Nürnberg nach Fürth. So kann man es zumindest bei Wikipedia nachlesen. Andere Quellen sprechen gar davon, dass ein Pferdegespann den Wagen der 3. Klasse gezogen hätte, in dem das Bier (mitsamt zwei gültigen Fahrkarten) mitfahren durfte. Das war damals nicht unüblich, schließlich war Kohle in Franken teuer. Der vielzitierte und bildlich dargestellte Transport zweier Fässer während der Erstfahrt – laut Lederer Homepage: „auf der ersten Fahrt der deutschen Eisenbahn 1835 befanden sich an Bord des legendären Adlers zwei Fässer Lederer“ –  soll so gar nicht stattgefunden haben.

 

Der Adler und das Lederer-Bier.
Quelle: http://static1.mainpost.de/storage/pic/mpnlneu/mag/2741675_1_17TBGU.jpg

Na, wieder mal was gelernt!