Ich habe ja beim gestrigen Leikeim Hell ein wenig moniert, dass ich den Trend, neue oder gar schon vorhandene Biere neuerdings als „extra bayerisch“ zu verkaufen, ein wenig befremdlich finde. Mehr als das, es regt mich auf! Aber das ist wohl dem Retro-Trend geschuldet, der momentan fröhliche Urständ feiert. Apropos „fröhliche Urständ“ … ist ja interessant, woher der Begriff kommt. Ich bin ja nicht nur Biernerd, sondern auch Germanist. Und die „Urständ“ (übrigens fem. sing.) bedeutet so viel wie Auferstehung, also bedeutet der Begriff „fröhliche Urständ feiern“ sinngemäß so viel wie die feierliche Wiederauferstehung. Und das passt wiederum zu meiner heutigen Kolumne wie die Faust aufs Auge.
Schließlich setzt nicht jede Brauerei auf den im Moment herrschenden „Bayern-Trend“. Bei der Tucher in Nürnberg/Fürth – die „Legende“ besagt ja, dass das neue Sudhaus auf der Stadtgrenze der beiden rivalisierenden Städte stünde und das Bier mithin sowohl nünbergisch wie auch fürtherisch sei – geht man einen anderen Weg. Da reaktiviert man eher „alte Marken“, die man mal übernommen hatte wie z. B. das gerade so beliebte Grüner Bier.
Da passt es, dass gerade mal wieder eine der alten und traditionsreichen Biermarken aus der Region „fröhliche Urständ feiert“, nämlich das Zeltner Vollbier. Der Ursprung der Zeltner Brauerei liegt im Jahr 1836, als die Brüder Johannes und Johann Georg Zeltner das Keppendörfsche Brauhaus in Nürnberg übernahmen. Von da an wuchs und gedieh die Brauerei und musste Anfang des 20. Jahrhunderts aus Platzgründen an den Stadtrand übersiedeln. 1943 endete die Erfolgsgeschichte der zuvor einzigen in Familienbesitz verbliebenen Nürnberger Brauerei durch die Explosion einer Fliegerbombe. Ein Neuaufbau der Brauerei scheiterte, das Zeltner Bier wurde dank einem Lohnsudvertrag bei der Tucher gebraut und weitervertrieben. Und typisch für die Brauereigeschichte in Deutschland: Aus der Zeltner Bräu wurde eine Immobiliengesellschaft. Schließlich besaß man ein ausgedehntes Brauereigelände, das bebaut werden konnte. Dazu kamen noch Immobilien und Gaststätten im Stadtgebiet …
Jetzt gibt es das Zeltner Vollbier jedenfalls wieder. Oder immer noch? So ganz schlau werde ich aus der jüngsten Geschichte des Bieres nicht. Gegenüber den Nürnberger Nachrichten sagte Berthold Zeltner, dass es sein Wunsch gewesen sei, mit dem Bier wieder ein wenig mehr zu den Wurzeln zurückzukehren und dass man die eigene Gastronomie gerade umstellen würde. Das klingt so, als hätte es Zeltner-Bier auch in den letzten Jahrzehnten als Marke noch gegeben. Wie viel Zeltner und wie viel Tucher darin steckt, ist eine andere Frage. Zwar orientiert man sich mit dem Zeltner Vollbier hell an alten Rezepten aus den Zeltner Sudbüchern, aber das Malz vor dem schroten über Nacht ruhen zu lassen oder gar elf Stunden zu maischen, das ist in den modernen Produktionsprozessen der Tucher Bräu gar nicht vorgesehen. Wie steht es so schön im Interview mit den Nürnberger Nachrichten: „‚Heute maischt man vielleicht noch eine Stunde‘, sagt Zeltner amüsiert.“
Aber genug der Geschichte und Geschichten. Mit dem Zeltner Vollbier braut die Tucher jedenfalls ein neues „historisches“ Helles. Soll heißen mit viel hellem Malz und mild in der Hopfung. Darin unterscheidet sich das Zeltner Vollbier hell mit seinen 5,0% überhaupt nicht von den momentan so aktuellen „Bayerischen Hellen“. Und unsüffig ist sowas ja auch nicht. Der leicht fruchtig, sozusagen halbtrockene Charakter, die angenehm geringe Bittere … das lässt sich schon „süffeln“. das ist aber auf der anderen Seite wenig speziell. Einen richtigen Unterschied zu anderen Retro-Bieren kann man nicht ausmachen. Da bleibt das Zeltner Vollbier trotz seines strahlend blauen Etiketts blass.
Bleibt die Frage, was der bessere Weg ist – oder ob es gar einen besseren Weg gibt? Auf der einen Seite gibt es diverse Augustiner-Klone und andere Bayerntümeleien, auf der anderen Seite 60er-Jahre-Schick im Retrodesign. Betriebswirtschaftlich gesehen kann ich das nicht sagen. Davon habe ich zu wenig Ahnung. Persönlich gefallen mir die Retro-Etiketten der alten Biermarken ein wenig besser. Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll, greife ich dann lieber zu Bieren wie z. B. dem Held Hell aus Oberailsfeld.
Denn deren Retro-Charme ist nicht irgendwelchen Modeströmungen geschuldet. Die sind so, weil sie schon immer so sind. Und genau das gefällt mir daran.
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