Heute ist der 23. April und das ist nicht nur St. Georgi, was bedeutet, dass heute alle Jörgs und Görchlas Namenstag haben, wozu ich ihnen recht herzlich gratulieren möchte.
Der 23.04. ist aber auch der „Geburtstag des bayerischen Reinheitsgebots“. Am 23.04. 1516 erließen die Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. Eine landesherrschaftliche Verordnung, die den Bierpreis und die Bierqualität reglementieren sollte. Im Wortlaut heißt es dort:
Wir wollen auch sonderlichen/
das füran allenthalben in unsern Stetten/Märckthen/un
auff dem Lannde/zu kainem Pier/ merer stückh/ dan al=
lain Gersten/Hopfen/ un wasser/ genomen un gepraucht
solle werdn.
Und damit beginnt, so ist die Legende, der Siegeszug des guten bayerischen Biers auf der ganzen Welt, an dessen Vorbild sich nach und nach alle anderen deutschen Länder orientierten, bis es endgültig als „deutsches Reinheitsgebot“ in aller Welt vom guten deutschen Bier kündet.
Nun ist die Sache aber nicht so einfach. Denn das „Reinheitsgebot“ von damals hat wenig mit dem heutigen Reinheitsgebot zu tun. Selbst wenn man ganz großzügig „Gersten“ in der Verordnung als Gerstenmalz interpretiert, würde ein so strenges Reinheitsgebot die deutsche Bierlandschaft um viele obergärige Bierstile beschneiden. Ein Roggenbier wie das Cadolzburger Roggen aus dem kleinen Brauhaus Brandmeier wäre nach der Verordnung von 1516 – wie auch nach ähnlich lautenden Brauordnungen z. B. aus Nürnberg (1303) – nicht erlaubt. Besagte Nürnberger Brauordnung soll übrigens nach einer Hungersnot erlassen worden sein, was die Beschränkung auf die Gerste erklärt. Roggen war ein wichtiges Brotgetreide. Es für Bier „zu verschwenden“, wäre in Zeiten ungesicherter Lebensmittelversorgung unvernünftig gewesen.
In heutiger Zeit sieht das „Reinheitsgebot“ vor, dass untergärige Biere nur aus Gerstenmalz gebraut werden dürfen. Bei obergärigen Bieren sind dagegen Weizen-, Roggen-, Dinkel-, Einkorn- oder Emmermalz erlaubt. Historisch lässt sich diese Zweiteilung der Brauarten höchstens damit begründen, dass das Braurecht für das feinere Weizenbier im Herzogtum Bayern dem Landesherrn oblag. Über das Roggenbier – laut Eintrag bei Wikipedia soll „Bier in Bayern üblicherweise aus Roggenmalz gebraut worden sein“ – schweigt die Verordnung aber. Warum untergärige Roggenbiere illegal sein sollen, lässt sich historisch schwer begründen. Da landet man am Ende bei dem Kommentar: „Das ist halt so!“
Und so ist auch das Roggen vom Brauhaus Brandmeier obergärig und „gebraut nach dem bayerischen Reinheitsgebot“, auch wenn Roggen darin nicht auftaucht. Aber das ist nur eine der vielen kleinen Unstimmigkeiten in der ganzen „Reinheitsgebotsgeschichte“.
Beim Cadolzburger Roggen aus dem Brauhaus Brandmeier gibt es neben Roggenmalz auch noch Weizen- und Gerstenmalz. Das dunkelrot-schwarzbraune Bier mit seiner schönen, cremefarbenen Schaumkrone hat satte 5,4 % Alkohol. Für die Nase hält es dunkle, brotige und leicht säuerliche Noten bereit. Auf der Zunge verhält es sich im ersten Moment wie ein dunkles, schweres Weizen, zu dem sich brotige und ein paar leicht säuerliche Noten gesellen. Im Abgang wirkt es dank der Hefe vollmundig, da blitzt tatsächlich auch ein wenig Bananenaroma auf, aber auch brotige Noten und feine Röstaromen. Die Kohlensäure lässt es ein wenig spritzig wirken. Im Vergleich zu einem „normalen“ Weizen ist so ein Roggenbier wie das Cadolzburger Roggen aromatisch durchaus interessanter und auch „sättigender“. Gut, mit 2.00 Euro steht es bei fränkischen Flaschenbieren eher weiter oben auf der Preisliste – von den Preisen von „Edelbieren“ ist es aber Gottlob noch weit entfernt.
Interessant wäre aber auch, wie ein Roggenbier als untergäriges Bier wirken würde. Da müsste man sich die fruchtigen Aromen herausdenken. Dafür würden die brotigen Aromen stärker zur Geltung kommen. Ein solches Bier wäre zwar historisch belegbar und von seinem Geschmack her sicher faszinierend. Aber nach dem Reinheitsgebot wäre es „illegal“.
Das wird aber keinen in der deutschen Brauwirtschaft daran stören, heute den Tag des deutschen Bieres zu feiern. Und alle werden wieder von der fast 500jährigen Geschichte dieses Lebensmittelgesetzes schwärmen. Dass die landesherrliche Verordnung von 1551 neben Malz und Hefe auch Koriander und Lorbeer ausdrücklich erwähnt, die von 1616 auch Salz, Wacholder und Kümmel, wird heute weitgehend unter den Biertisch fallen. Denn es stört die Marketingstrategie vom „ältesten Lebensmittelgesetz“. In Deutschland wurde es übrigens erst 1906 eingeführt. Bis dahin war deutschen Reich (mit Ausnahme von natürlich Bayern, Baden und Württemberg, Lothringen, Ostheim und dem sachsen-koburgischen Amt Königsberg) durchaus Brauen mit Reis z. B. erlaubt, wie es das „Gesetz wegen Erhebung der Brausteuer“ von 1872 belegt.Und auch heute sind bei obergärigen Bieren Industriezucker oder sogar Süßsstoffe erlaubt sowie zahlreiche technische Hilfsstoffe, wenn sie so weit wie möglich wieder aus dem filtriert werden können. Beim Hopfenextrakt erklärt das eine Europäische Patentschrift aus den Jahren 1982: „Aus technischen und wirtschaftlichen Gründen ist es jedoch schwierig, das Extraktionsmittel wieder quantitativ aus dem Extrakt zu entfernen. Offiziell wird zum Beispiel ein Restlösungsmittelgehalt von 2,2 Gew.-% Methylenchlorid im Hopfenextrakt toleriert.“ Dass auch das lange genutzte Filtrationshilfsmittel Asbest ins Bier übergehen konnte, war bis in die 80er Jahre bekannt und wurde toleriert: „Als nicht minder übel gelten die gebräuchlichen Filter, die Asbestfasern ins Bier abgeben“ (Spiegel 2/1982). „Rein“ war das damals schon nicht und es stützt auch nicht unbedingt das Vertrauen in das Reinheitsgebot. Dabei schickt der Brauerbund sich gerade an, das „Reinheitsgebot“ als immaterielles Weltkulturerbe schützen zu lassen. Ich persönlich fände es dagegen viel sinnvoller, die „deutsche Brauerei- und Biersortenvielfalt“ schützen zu lassen. Ähnlich wie die Bäcker, die ihre über 3000 unterschiedlichen Brotsorten schützen lassen wollen, könnten die Brauer ganz losgelöst von historischen Verrenkungen die heimische Biervielfalt zwischen Weizen, Pils, Gose, Roggenbieren, Kölsch, Alt, Berliner Weiße, Rauchbier und, und, und zum schützenswerten Gut erklären. Das entspräche zum einen dem Trend hin zu Spezialbieren und würde zum anderen der „Verpilsung“ der Republik Einhalt gebieten. Und erklärt man nicht nur die Biervielfalt, sondern auch die deutsche Brauereilandschaft mit ihren gut 1300 Brauereien für schützenswert, würde man internationale Braukonzerne viel effektiver davon abhalten, sich den deutschen „Bier-Kuchen“ unter sich aufzuteilen, als wenn man die vier bekannten Zutaten hervorhebt.
Denn nach dem Reinheitsgebot kann man im Ausland auch brauen. Und zwar billiger als hierzulande.
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