Ich hatte es gestern ja schon angemerkt, dass ich es eine sehr interessante Idee finde, wenn sich bei deutschen „Craftbieren“ eine Mischung aus alten, vielleicht auch vergessenen Brautechniken und modernen Einflüssen verbinden. Das ist eigentlich genau das, was ich mir so als „deutsches Craftbier“ vorstelle – mal abgesehen von der eigenständigen Interpretation internationaler Bierstile. Alerdings ist das mit den alten Brautechniken heutzutage nicht so einfach. Denn vieles, was früher vielleicht auch aus der Not heraus entwickelt wurde, wird heute kaum mehr vermittelt. Und selbst wenn, dann lässt es sich in modernen Anlagen kaum mehr umsetzen. Und dann bleibt am Ende die Frage des „geschmacklichen Mehrwerts“. Schließlich sollte ein Bier, bei dem besondere Brautechniken angewandt werden, am Ende auch „besonders“ schmecken.
Ich persönlich werde ja immer ganz neugierig, wenn ich irgendwo etwas von alten Kulturtechniken, Malzsorten und ähnlichem höre. Ich gebe es zu, ich habe da einen Faible dafür. Dann kann ich stundenlang rumstehen und dem Brauer Löcher in den Bauch fragen, was manche Brauer mögen und worauf andere mehr als nur irritiert reagieren.
Eine dieser Techniken, die heute keine Anwendung mehr findet, ist das sogenannte Digerieren oder Vormaischen. Wahrscheinlich, so erklärte es mir der Brauer der Eder&Heylands Brauerei in Großostheim, entstand es aus der einfachen Tatsache, dass man am Vorabend des Brautags das geschrotete Malz und das Brauwasser schon mal vorbereitete, um dann man nächsten morgen mit dem Aufheizen beginnen zu können. Ob das nun tatsächlich so war oder ob andere technischen Überlegungen dazu geführt hatten, ist eigentlich auch nebensächlich. Interessanter dagegen ist, dass die Brauwerksatt von Eder&Heylands, genannt Ederbräu, einen „Weizenbock aus alter Zeit“ so eingebraut hatte, den ich auf der Braukunst Live probiert hatte.
Was aber bewirkt nun dieses Digerieren oder Vormaischen? Dazu findet sich im zweiten Band von Die Bierbrauerei von L. Narziss und W. Beck zusammengefasst folgendes: Das Malz wird ungefähr mit dem Brauwasser bei einer Temperatur von 12 bis 15 ° Celsius (nicht mehr als 18 bis 20 ° Celsius, weil sonst „die Gefahr von Säuerung besteht“) eingemaischt. Zwischen dem Einmaischen und dem Fortgang der maischetätigkeit gibt es eine 8 bis 12 Stunden dauernde „Pause“, in der der Mehlkörper des Malzkorns aufquillt. Obwohl die Temperatur unter der eigentlichen Arbeitstemperatur der Enzyme liegt, gehen diese schon in Lösung über und beginnen „abbauend auf bestimmte Stoffgruppen, z. B. ß-Glucane, Pentosane, Phosphate, einzuwirken“. Dadurch könne die Ausbeute um 1 – 2 % erhöht werden (obwohl sich nicht alles davon letztlich in der Sudhausausbeute wiederfinden kann), wenn man schlecht geköste Malze hat. Es können durch das Digerieren auch unerwünschte Effekte entstehen: Die Färbung kann dunkler ausfallen und durch Mineralstoffe und Spelzenbestandteile können bei hellen Bieren einen „breiten, derben, meist jedoch leeren Geschmack bewirken“. (Zitate nach L. Narziss u. W. Beck: Die Bierbrauerei. Band II. S. 316)
Beim Weizenbock aus alter Zeit sprach der Braumeister auch von einer Zufärbung von bis zu 25 %, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Zudem müsse man, wolle man das Digerieren anwenden, das Rührwerk langsam durch die Maische laufen lassen, um die Verklumpung der Maische zu verhindern. So dürfe das Schrot 12 Stunden lang „quellen“. Das alleine ist schon mal ein Wort! Welche größere Brauerei kann es sich leisten – abgesehen in einer kleinen Craftbier- oder Versuchsanlage – leisten, dem Malz mal eben 12 Extrastunden beim Maischen zu gönnen. Wenn man so will, wäre das ja „Slow-Bier“ im wahrsten Sinne des Wortes. Man stelle sich mal vor, wie viele Sude in der gleichen Zeit dank hochgelöster Malzsorten durch die Braumaschinen gejagt werden könnten. Und dann ist die Ausbeute auch nicht signifikant besser, sodass sich das Digerieren wirtschaftlich lohnen würde. Und nur wegen dem bisschen satterer Farbe …??? Da stimmt kein Controller zu!
In der Farbe ist der Weizenbock aus alter Zeit der Ederbräu übrigens wirklich schön. Dieser Orangeton ist wirklich ansprechend. Allerdings lässt sich der bei entsprechender Zufärbung mit Spezialmazen oder Farbebier genauso herstellen. Dafür braucht ein versierter Labortechniker wahrscheinlich einen Bruchteil der Zeit, die das Malz im kalten wasser hatte liegen dürfen. Die 6,3 % Alkohol aus 16 % Stammwürze sind auch kein Argument fürs Digerieren.
Sonst besteht der Weizenbock aus 5 verschiedenen Malzen und schmeckt … wie ein richtig gutes Weizen. Das hatte sich schon beim Geruch angedeutet. Ein feines Bananenaroma findet man da, das aber für einen Weizenbock fast schon dezent daherkommt. Geschmacklich zeigt sich das gleiche Bild: Fruchtig ist er, nicht zu süß-bananig, ein wenig Nelkenaroma ist auch dabei. Insgesamt wirkt er nicht wie ein Bock – vor allem im Vergleich zu all den Stark-Starkbieren auf der Messe. Wenn etwas an einen bock erinnert, dass die feine Süße mit Noten von Kandiszucker zum Beispiel. Aber verglichen mit den Weizenböcken, die mans onst so in der Hand hat, wirkt dieser hier fast schon schlank, elegant. Also mehr „belle Epoque“ als „derbes Mittelalter“.
Allerdings – und die Frage muss man hier stellen dürfen – bleibt die Frage nach dem Mehrwert. Aromatisch ist das zumindest für mich schwer zu sagen. Konventionell kann sicher einen Weizenbock herstellen, der gleich schmeckt. Betriebswirtschaftlich gesehen ist das Digerieren wahrscheinlich eher eine Lachnummer. Abgesehen von hochpreisigeren Spezialbieren wird da jeder Controller abwinken. Und dennoch breche ich mal eine Lanze für die Brauer bei Eder&Heylands: Denn ob und wie sich etwas lohnt, kann man nur feststellen, wenn man es mal ausprobiert hat, wenn man seine Erfahrungen mit dem Digerieren zum Beispiel gemacht hat, wenn man sich auch mal mit alten Techniken beschäftigt. Bei mir wecken solche Biere wie der Weizenbock aus alter Zeit die Neugierde. Ich möchte dann am liebsten weiterexperimentieren. Was passiert zum Beispiel, wenn man mit anderen Getreidesorten als Weizen und Gerste digeriert? Solche und andere Fragen lassen sich wahrscheinlich nur beantworten, wenn man es ausprobiert. Und wenn Brauer ihre Experimentierlust dadurch austoben, indem sie in alten Fachbüchern von vor hundert Jahren oder mehr stöbern, dann gefällt mir das – vor allem, wenn es den allgemeinen Fokus mal ein wenig weg vom „Hopfenhype“ zieht. Und selbst, wenn das Ergebnis am Ende gar nicht soooooo „außergewöhnlich“ schmeckt, gut war der Weizenbock jedenfalls!
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